Grenzlage von 1962 von Kurt Schneider - Neuhausen bei Rehau

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Grenzlage von 1962 von Kurt Schneider

Besonderes
Interview vom damaligen Bürgermeister von Neuhausen Herrn Kurt Schneider
Eine Abschrift eines Zeitungsauschnittes vom damaligen Bürgermeister Kurt Schneider aus dem Jahre 1962 den ich auf dem Dachboden meines Hauses gefunden habe. Die Zeitung stammt vermutlich vom Rehauer Tagblatt.

1962 Donnerstag, den 27. September
Alle Einwohner in der Landwirtschaft tätig - Keine Gewerbebetriebe - Um Straßenbau sehr bemüht - 25 Kinder besuchen Volksschule - Lehrerstelle noch immer frei - Kontakte mit tschechischen Stellen
NEUHAUSEN. - Geld in harter deutscher Währung steuert die finanzschwache Grenzlandgemeinde Neuhausen im Landkreis Rehau auch heute noch im Zeitalter des Eisernen Vorhangs fortlaufend einem Konto "Ascher Stadtwald" zu. Der Bürgermeister der Grenzlandgemeinde, Kurt Schneider, selbst muß die Beträge jeweils an die Bank überweisen, die aus der Nutzung des Ascher Stadtwaldes gewonnen werden. Allerdings werden diese Gelder von der Landeszentralbank, Hauptstelle der Deutschen Bundesbank Hof, unter einem Sperrkonto geführt. Diese bemerkenswerte Tatsache an der deutsch- tschechischen Landesgrenze ist für den Ortsfremden ebenso ungewöhnlich wie die Zusicherung, dass die Freiwillige Feuerwehr Neuhausen im Ernstfall bei einem Brand das Feuer in Oberneuhausen mit Löschwasser von jenseits der Grenzlinie bekämpfen kann. Eine solche Unterstützung der Feuerwehr in der deutschen Grenzgemeinde haben jedenfalls tschechische Offiziere bei einer Zusammenkunft an der Grenze in Wildenau vor einigen Jahren mündlich zugesagt.

Beim Ascher Stadtwald, so erläuterte Bürgermeister Kurt Schneider, der selbst aus der nur drei Kilometer entfernten Stadt Asch stammt, handelt es sich um eine zwanzig Hektar große Waldfläche, die zu drei Viertel zum Gemeindebereich von Neuhausen und zu einem Viertel zum Bereich der Nachbargemeinde Lauterbach gehört. Gerade beim Ascher Stadtwald wird der große Unterschied erkennbar, der hier unmittelbar an der Landesgrenze in der Verwaltung fremden Grundbesitzes zu sehen ist. Während die Grundstücke jenseits der Landesgrenze von ihren deutschen Besitzern nicht mehr genutzt werden dürfen und mehr und mehr verwildern, wird der Ascher Stadtwald mit der gleichen Umsicht und Fachkenntnis vom staatlichen Forstamt Selb gepflegt und gehegt wie der deutsche Staatsforst. Die deutschen Besitzer von Grundstücken jenseits der Landesgrenze müssen somit verbittert, aber machtlos dem weiteren Verfall ihrer einst so fruchtbaren Fluren untätig zusehen.

Wie der Ertrag aus dem Ascher Stadtwald zu gegebener Zeit verwendet wird, bleibt den übergeordneten deutschen Dienststellen vorbehalten. Die Bauern in Neuhausen, die infolge der Grenzabriegelung manches Grundstück jenseits der Grenzlinie verloren haben, hoffen aber mit verständlicher Berechtigung, dass sie bei einer entsprechenden Regelung nicht übergangen werden. Vom Bürgermeister erfuhren wir weiter, dass die Gemeinde aus den Ortsteilen Neuhausen, Schönlind, Baumgärtelmühle und Voitmühle besteht und gegenwärtig 225 Einwohner zählt. Sie teilt heute das harte Los vieler deutscher Grenzgemeinden am Eisernen Vorhang. Noch vor dem letzten Weltkrieg, ja bis zur Vertreibung der Sudetendeutschen war Neuhausen der Treffpunkt eines regen Ausflugsverkehrs von diesseits und jenseits der Landesgrenze und zog Nutzen aus dem Handel und Wandel.

Jetzt ist es allerdings in den beiden Gasthäusern in Neuhausen, in denen früher zahlreiche Ausflügler zu froher Rast einkehrten, sehr still geworden. Von jenseits der Landesgrenze kommen schon längst keine Gäste mehr, seitdem der Elektrozaun und die Wachtürme errichtet worden sind und seitdem längs der östlichen Gemeindegrenze die Trennungslinie mitten durch Europa verläuft. "In einer Länge von rund achteinhalb Kilometer", berichtete der Bürgermeister, "und zwar von der "Rauhen Schänke" bis zur Kimmelbüchse grenzt der achthundertvierzig Hektar große Gemeindebereich direkt an das tschechische Hoheitsgebiet."
Schlagbaum 1962
Dieser Grenzlage wird es auch zugeschrieben, dass heute in der Gemeinde Neuhausen kein Gewerbebetrieb besteht. Alle Einwohner sind in der Landwirtschaft tätig. Gegenwärtig sind in Neuhausen selbst rege Bauarbeiten im Gange, denn in diesen Wochen wird der Wirtschaftsweg zur Gemeindegrenze und darüber hinaus nach Lauterbach ausgebaut. Diese Verbindungsstraße war seither in einem schlechten Zustand gewesen. Ihretwegen wie auch zuvor wegen des schlechten Zustandes der übrigen Verkehrsverbindungen der Gemeinde Neuhausen hatten die Grenzbewohner verständlicherweise manchesmal ihrem Unwillen Luft gemacht. "Wir haben protestiert, wir haben Eingaben an die mannigfachsten Dienststellen gerichtet, und vor allem, wir, haben nicht locker gelassen", so erinnert sich einer der ortsansässigen Bauern, der trotz des regen Erntebetriebes so viel Zeit fand, die Bemühungen um den Straßenbau kurz aber sehr treffend zu schildern.

Tatsächlich sind die Verbindungsstraßen der Gemeinde Neuhausen heute weitgehend ein sichtbarer Beweis dafür, was die unermüdlichen Bemühungen einer ganzen Gemeinde vermögen. So ist die Grenzlandgemeinde heute durch die seit drei, Jahren gut ausgebaute Staatsstraße von der Abzweigung der Bundesstraße 15 beim Heinersberg bis nach Neuhausen, der im Volksmund als alte Ascher Straße bekannten Straße gut mit der Kreisstadt Rehau verbunden. Im Jahre 1960 ist die Verbindung vom Ortsteil Schönlind über die Grünauer Mühle zur Bundesstraße 15 bei Schönwald ausgebaut worden. In den nächsten Jahren soll das Reststück von Schönlind zur Staatsstraße Heinersberg - Neuhausen an die Reihe kommen. Im letzten Jahr erfolgte der Straßenausbau in Neuhausen selbst, und zwar vom früheren bayerischen Zollamt bis nach Unterneuhausen in einer Länge von etwa eineinhalb Kilometer.

Die Ortsfremden in Neuhausen sind jeweils recht überrascht, wenn sie davon hören, daß hier am Eisernen Vorhang zwischen Deutschen und Tschechen noch Kontakte bestehen, die zwar sehr spärlich sind, jedoch einen erfreulichen Gegensatz zu der tristen Situation an der nur wenige Kilometer nördlich von Neuhausen beginnenden Zonengrenze darstellen. Zwar verfügt die Gemeinde Neuhausen nach den weiteren Ausführungen des Bürgermeisters über drei Feuerlöschteiche und sieht sich auch bei der Trinkwasserversorgung keinen ungewöhnlichen Problemen gegenüber.

Aus den eigenen Hausbrunnen, die ein gutes Trinkwasser liefern, decken die Hofbewohner in Neuhausen den Wasserbedarf für Haus und Hof.

Dennoch hat man vor mehreren Jahren mit tschechischen Offizieren an der Grenze bei Wildenau eine mündliche Vereinbarung getroffen, derzufolge bei Brandfällen die Feuerwehr vom Ascher Wasserwerk mit Löschwasser versorgt werden wird. "Bei einem Brandfall ist der Kommandant unserer Freiwilligen Feuerwehr oder dessen Stellvertreter berechtigt", so informierte uns der Bürgermeister über diese Vereinbarung, "bei Tag oder Nacht die Landesgrenze zu überschreiten und beim Ascher Wasserwerk Löschwasser zu erbitten." Oberneuhausen hat zwei Hydranten, die sonst nicht unter Wasserdruck stehen, die aber dann vom Wasserwerk jenseits der Landesgrenze unter Wasserdruck gesetzt werden, so daß die Feuerwehr ihre Löschschläuche an die Hydrantenstutzen koppeln kann.
Ascher straße 1962
Auch sonst geben sich hier tschechische Grenzpatrouillen nicht so stur und ideologisch verhetzt wie die Volkspolizisten an der Zonengrenze. Hier kommt es schon vor, so erzählen die Neuhausner Bauern, daß die tschechischen Grenzstreifen, wenn sie nahe genug an der Grenzlinie patrouillieren, höflich grüßen und für den Gegengruß danken. Aber dessen ungeachtet müssen sich die Einwohner der Grenzgemeinde mit den unerfreulichen Auswirkungen der Grenzabsperrung abfinden.

Da Neuhausen kirchenrechtlich zur Kirchgemeinde Asch gehört, gegenwärtig jedoch der Kirchgemeinde Schönwald angegliedert ist, wurden noch bis zum Kriegsende die verstorbenen Gemeindebürger auf dem nur drei Kilometer entfernten Friedhof von Asch beerdigt, Heute finden die Verstorbenen ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof in Schönwald.

Nicht alltäglich ist auch, daß die Gemeindeteile Neuhausen, Baumgärtelmühle und Voitmtühle zum Postamt Selb-Plößberg gehören, während der Gemeindeteil Schönlind zum Postamt Schönwald zählt. Der fernmündliche Anschluß von Neuhausen ist unter der Ortsnetzkennzahl von Selb zu finden.

Besondere Sorgen bereitet allerdings die Volksschule Neuhausen, die gegenwärtig von 25 Kindern besucht wird. Auch in diesem neu begonnenen Schuljahr unterrichtet noch immer ein Lehrer, der von der Volksschule Schönwald abgeordnet wurde, nachdem auch diesmal keine Bewerbung um die freie Lehrerstelle in Neuhausen eingegangen ist. Aus diesem Grunde steht weiterhin die Lehrerdienstwohnung leer, die, so bemerkte der Bürgermeister zu diesem Problem, allerdings zu gegebener Zeit instand gesetzt werden soll.

Zuletzt kam Bürgermeister Schneider, der als Ascher hier in seinem Jagdhäuschen in Neuhausen nach der Vertreibung ein Zuhause gefunden hat, noch auf den Wildbestand an der Grenze zu sprechen. Wie er beobachtet hat, hält sich in letzter Zeit im Niemandsland vor dem Elektrozaun ein Schwarzwildrudel auf, das aus zwei alten und sechs mittelgroßen Tieren sowie sieben Jungen besteht. "Gerade auf diese Wühler müssen wir Jäger besonders achten", betonte er zum Schluß, zumal die Wildschweine hier an der Grenze immer wieder leicht im "Niemandsland" unterschlupfen können.
Text u. Bilder - Quelle: (Nr.: 2010/2011 - Zitat aus: Rehauer Tagblatt - von:1962Seite:?)
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Ein Dorf an einer Grenze inmitten Europa - 2011 © Armin Herold
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